Blogbeitrag vom 20. Oktober 2023

♥ ♥ Yoga Sutra I,18 & I,19 ♥ ♥ 

In Sutra I,18 erlernen wir, wie wir Leere erzeugen können.
In Sutra I,19 erfahren wir die Körperlosigkeit.
Wir sehen, es geht immer mehr um das Loslassen und letztlich um das Verschmelzen. Wie wir in einen solchen Zustand finden können, erlernen wir mit den Sutras Schritt für Schritt. Sicher hast du schon bemerkt, dass alles aufeinander aufbaut. So wie im Leben, so auch im Yoga. Und Patanjali geht jeden einzelnen Schritt mit uns.

 

Yoga Sutra I,18:

विरामप्रत्ययाभ्यासपूर्वः संस्कारशेषोऽन्यः

virâma–pratyayâ-abhyâsa–pûrvah samskâra–seso nyah

 
Die wörtlichen Übersetzungen lauten:

virâma - loslassen, fallen lassen, ruhend, still geworden

pratyayâ - richtige Wahrnehmung, Erkenntnis, Erfahrung, Geistes-Eindruck

abhyâsa - beharrliche Praxis, stetige Übung

pûrvah - vorausgegangen, das Vorherige vorausgesetzt

samskâra - Gewohnheiten, Neigungen, unterbewusste Eindrücke

seso - übrig gebliebenes, Rest, das Verschonte

nyah - das andere

 

Übertragung der Sutra in unsere Sprache: 

Die durch beharrliche Übungspraxis erzeugte Leere, lässt nur einen Rest vom Vergangenen übrig.

Eine andere Übersetzung könnte lauten: Nach stetiger Übung erreicht der Yogi einen weiteren Zustand von Samadhi, in dem alle geistigen Aktivitäten lösgelassen sind und nur ein unmanifester Rest im Geiste bleibt.

 

Yoga Sutra I,19:

भवप्रत्ययो विदेहप्रकृतिलयानाम्

bhava-pratyayo videha-prakṛti-layānām

 
Die wörtlichen Übersetzungen lauten:

bhava - Ursprung, hervorgegangen aus, Geburt und Leben

pratyayo - Erkenntnis, Ursache, scharfer Geist

videha - Körperlosigkeit, formlos, immateriell

prakṛti - Natur, Universum, das Manifeste

layānām - auflösen, verschmelzen

 

Übertragung der Sutra in unsere Sprache: 

In diesem Zustand erlangt der Yogi Körperlosigkeit oder verschmelzt mit dem Universum.

Eine andere Übersetzung könnte lauten: Dieser Zustand kann von Geburt aus, also durch frühere Körperlosigkeit, oder durch Verschmelzen mit der Natur erfahren werden.



In Sutra I,18 und I,19 geht Patanjali also wieder einen Schritt weiter mit uns, er nimmt uns an die Hand und führt uns in kleinen Schritten zum Ziel. Wir sind also hier bei einem Zustand von Samadhi angelangt, bei dem von Körperlosigkeit gesprochen wird. Wir alle kennen diesen Zustand. Kurz vor dem Einschlafen sind wir diesem am nächsten, wenn die Gedanken nicht mehr wie am Tage vom Verstand beherrscht werden und wir innerlich stiller werden. In diesem Zustand bekommen wir eine Ahnung vom Beobachter in uns. Es fühlt sich weder gut noch schlecht, weder positiv noch negativ an. Es ist einfach ein Gefühl von Ichlosigkeit, ganz neutral. Dieser Zustand wird nicht beabsichtigt, er stellt sich ganz natürlich ein.

Im bewusst herbeigeführten Zustand von Samprajnata-Samadhi - dem Moment vor dem Einschlafen sehr ähnlich - löst sich zwar der Verstand auf, aber das Ichgefühl bleibt. Es bleiben auch nur die durch yogische Praxis erworbenen Bewusstseinsregungen und Gewohnheiten, alle anderen lösen sich auf. Dies ist jedoch nur ein Übergangszustand und wir sollen achtgeben, dass wir nicht in diesem Zustand "steckenbleiben" oder sogar Rückschritte machen, weil wir den Zustand schon als so wonnevoll empfinden, dass wir unsere Anstrengungen vernachlässigen.

In diesem Zwischen-Zustand von Samadhi erfährt der Yogi (und natürlich immer auch die Yogini:) oft aber auch Einsamkeit und Isolation, es kann ein Zustand wie Trance sein, laut Iyengar (aus "Der Urquell des Yoga") ein echtes Verschmelzen mit den Elementen, wobei der Yogi unter Wasser nicht atmen muss und zu Wasser wird. Es werden die großen Gurus Ramana Maharshi und Sri Aurobindo als Beispiele genannt, die über lange Zeit im Zustand von Körperlosigkeit waren. Man nennt sie in Indien "Die in der Natur Aufgegangenen" - "prakritilaya" oder "Die ohne Körper Existierenden" - "videhin".

Wir westlichen Menschen tun uns mit solchen Beschreibungen natürlich schwer. Für Inder ist es ein ganz natürlicher Vorgang und Zustand, den zu erlangen angestrebt wird. Wähle deinen Weg ganz individuell und authentisch. Übe stetig und beharrlich und alles Andere wird sich von selbst ergeben.

Ich danke dir von Herzen und wünsche dir weiterhin einen freudvollen Übungsweg.

 

NAMASTé, Deine Eva Devi

 

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